„Wenn einer die Energiewende hinkriegt, dann ist es Deutschland"

Claudia Kemfert plädiert im Econvent für eine durchdachte Energiewende

Beim „Talk im Econvent“ drehte sich im Gespräch mit der Energie-Ökonomin Claudia Kemfert alles um das Thema Energiewende. Für sie sind Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze.

Wird die Energiewende sozial ungerecht finanziert? Ist das Klimapaket der Bundesregierung aus wissenschaftlicher Sicht eine Enttäuschung? Sind die Lobbyisten der Vergangenheit stärker als die Lobbyisten der Zukunft? Solche Fragen diskutierte Thomas Puchan beim jüngsten „Talk im Econvent“ mit der Energie-Ökonomin und Professorin Claudia Kemfert. Der Hoteldirektor musste kurzfristig für den erkrankten Moderator des Abends einspringen. Puchans Vorteil: Die Fragen waren bestens vorbereitet, im lebhaften Gespräch mit dem prominenten Gast ergaben sich viele weitere Aspekte.

Für Claudia Kemfert, die die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung leitet und in Energiefragen zu den gefragtesten Expertinnen gehört, steht fest: Die Energiewende wird vor allem von Leuten mit geringerem Einkommen bezahlt. Das sei politisch so gewollt und zeige sich auch im Klimapaket. Wissenschaftler hätten andere Vorschläge gemacht. Kemfert plädiert für das Schweizer Modell, bei dem diejenigen profitieren, die sich klimafreundlich verhalten. Damit seien Leute, die sich vieles gar nicht leisten können und in der Regel nur wenig CO2 produzieren, im Vorteil.

Für die Professorin sind Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze: „Wir müssen sehen, was vergangene Energiewenden gekostet haben. Dann können wir das aktuell richtig einordnen. Die Atomenergie war nie wettbewerbsfähig und wird es nie sein.“ Würde man die realen Kosten fossiler Energie auf den Strompreis aufschlagen, sei der Zuschlag mindestens doppelt so hoch wie die Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), die 2020 auf rund 6,75 Cent pro Kilowattstunde steigen soll. „Wir haben keine Kostenwahrheit, wir zahlen das heimlich über den Staatshaushalt“, gab Claudia Kemfert zu bedenken. Noch immer gebe es umweltschädliche Subventionen für Kohle und Ölheizungen und die Entfernungspauschale, die nach ihrer Einschätzung eher eine Zersiedelungsprämie ist.

Eines ist für die Energie-Ökonomin klar: Der Primärenergiebedarf muss deutlich runter. Das lasse sich im Verkehr dadurch erreichen, dass elektrische Antriebe einen sehr hohen Wirkungsgrad haben. Außerdem müssten die Autos viel kleiner, leichter und weniger werden, ihre Batterien dürften nicht größer als nötig sein. Am Ende ihrer Lebenszeit müssten die Batterien zu 100 Prozent recycelt werden. Kommen dann weitere Entlastungen etwa durch energetisch sanierte Häuser und Plus-Energie-Gebäude hinzu, könne Deutschland seinen kompletten Energiebedarf selbst decken. Das beende Abhängigkeiten von rohstoffliefernden Despoten und wirke gegen Kriege um Rohstoffe: „Die Energiewende ist das größte Friedensprojekt weltweit.“

Das Argument, Deutschlands Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen sei vergleichsweise gering, kam nicht überraschend. Ja, sagte Kemfert, doch Deutschland stehe beim Pro-Kopf-Ausstoß weit oben, könne durch den Export umweltfreundlicher Produkte weit über das eigene Land hinauswirken und sei Vorbild für andere Länder: „Wenn einer die Energiewende hinkriegt, denken viele in anderen Ländern, dann ist es Deutschland.“ Nicht zu kopieren sei Japans Wasserstoffstrategie, sie beruhe auf der Atomkraft: „Wasserstoff ist teuer und ineffizient, der Energiebedarf steigt auf das Achtfache.“ Wasserstoff sei dort nötig, wo der reine Elektroantrieb nicht möglich sei, also im Schwerlastverkehr, bei Schiffen und bei Langstreckenflügen.

Nötig finde Claudia Kemfert auch die Windenergie, beklagt jedoch: „Es gibt Lobbygruppen, die sie schlecht reden – teils von der Fossilindustrie bezahlt. Dafür gibt es Belege.“ Verzögerungstaktik sei die Behauptung, es brauche erst neue Stromtrassen, ehe sich die erneuerbaren Energien nutzen ließen: „Die meisten Kohlekraftwerke stehen nördlich der Mainlinie. Werden sie abgeschaltet, werden schon mal hohe Kapazitäten frei.“ Vielleicht behalte Kaiser Wilhelm ja auf lange Sicht doch Recht, der das Auto für eine vorübergehende Erscheinung hielt: „Das gilt zumindest für den Verbrenner, der 23 Stunden am Tag herumsteht“, sagt Kemfert.

Zuerst veröffentlicht in der Eßlinger Zeitung am 10.11.2019 vom Autor: Peter Dietrich